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Manfred Flügge - Gründe und Abgründe
Gründe und Abgründe Dreimal kam ich nach Berlin. Das erste Mal 1954, da war ich acht Jahr alt, das zweite Mal als Student im Jahr 1966, da begann mit dem Tagebuch dieser Reise mein eigentliches Schreiben, das dritte Mal 1976, da trat ich eine Stelle an der Freien Universität an. Das dritte Mal war für immer. Nun habe ich schon dreißig Jahre, die Hälfte meines Lebens in Berlin zugebracht. Und nach einem langen Umweg durch die Universität bin ich zum freien Autor geworden, und das lag sicher auch an Berlin. Das Schreiben war meine Form der Notwehr. Durch meine Beschäftigung mit deutsch-französischen Themen, mit Exil und Besatzungszeit, lernte ich emigrierte Berliner kennen. Einigen half ich, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Dabei habe ich Feuer gefangen, das waren die Art Lebensgeschichten, die mich schon gereizt hatten, als ich Redakteur einer Schülerzeitung war. In diesen Geschichten fand ich die Dimension des Schicksals wieder, die mich nicht loslässt. Aber neben dem Tanz mit dem blutigen Jahrhundert reizte mich das Erzählen selber, will sagen: die Gegenwart des Unwirklichen. In einem grandiosen Selbstmissverständnis schrieb ich meine Dissertation über Erzähltheorie. (Theorie, bis zu einem gewissen Punkt getrieben, ist eine Variante der Spielsucht.) Davon geblieben ist mein Lieblingsbegriff: das Imaginäre. Das Imaginäre und das Schicksal sind die beiden Stränge meines Schreibens und Denkens, nur auf den ersten Blick widersprüchlich, weil das eine nach historischer Genauigkeit und das andere nach spielerischem Denken verlangt. Noch suche ich den idealen Stoff, der beides vereinen würde. Er zeigt sich in Lebensläufen von bedeutenden Personen, die reale Gestalten der Geschichte und zugleich fortwirkende Mythen wurden, von Alexander dem Großen bis zu Napoleon, von Jeanne d'Arc bis Heinrich Schliemann. So wurde ich zum Biographen. Er zeigt sich auch in der Geschichte von Städten. Und gerade Berlin leidet darunter, dass sein Mythos seine traurige Realität überlagert. Das sieht sehr unpersönlich aus. Aber wenn ich erklären muss, warum ich in Dänemark geboren wurde, aber im Ruhrgebiet aufwuchs, schließlich nach Berlin zurückkehrte, woher schon mein Großvater stammte, der nach Königsberg zog, wo meine Mutter geboren wurde, die 1945… schon bin ich ins Erzählen von Geschichte und Schicksalen verstrickt, wie ich sie lieber von fremden Menschen erzähle. Meine Bücher seien eigentlich immer Familiengeschichten, hat mir einmal eine Leserin gesagt. Ich erschrak – und gab ihr Recht. Also nun: für immer Berlin? Wer weiß, was das Schicksal bereithält? Seit 1982 veröffentlichte Manfred Flügge unzählige Bücher, die sich mit Geschichte in verschiedenen Formen auseinandersetzt. Hierzu gehören
Gesprungene Liebe.
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